Die Zugfahrt
Was will man schon über eine Zugfahrt schreiben? Klar, es gibt diese tollen Filme wo irgendwelche Gangster in den USA oder in Russland ein Zug entführen. Die ballern da wild durch die Wagons, jagen den halben Zug in die Luft und am Ende siegt wieder das Gute und es steigen mehr Leute aus dem Zug, als eigentlich darin platz haben. Aber selbst die Filme sind relativ langweilig. So ca. nach 30 min. hat man eigentlich alles gesehen. Wie soll man also eine Zugfahrt beschreiben, bei der nichts spektakuläres wie ne Atombombenentführung oder ein Intercity-Zug-Gangbang passiert? Ich hab keine Ahnung, aber genau das werde ich nun tun.
Es ist Donnerstag. 19.30 Uhr. Gleich steig ich in den Nachtzug nach Berlin. Meine Mutter hats vor ca. 15 min per SMS erfahren. Meine Schwester wirds in 40 Minuten erfahren. Ich schlender dem City-Night-Line Zug entlang und such den Wagen 29. Wie das halt so ist mit meinem Glück, muss ich bis nach ganz vorne latschen. Und wer den Zürcher Hauptbahnhof kennt, der weiss wie lange diese blöden Perrons sind. Ich steige ein und finde meinen Platz. Es ist einer am Mittelgang. Es ist aber so ein Sitz wo direkt davor ne Wand (vom Gepäckregal in der Wagonmitte) ist und nicht ein anderer Sitz. Wenn man so ne Trantüte vor sich hat, die schon nach zwei Sekunden den Liegesitz ausprobiert, hat man Glück wenn man den Sessel nicht auf die Nase bekommt. An der Wand vor dem Sitz neben mir hängt schon ein Rucksack. Sitzt wohl jemand neben mir. Mist! Irgendwie ist sowas immer scheisse wenn man neben einem Fremden sitzt. Egal ob man nun nen Sitz am Gang oder einen am Fenster hat, man hat so oder so immer die Arschkarte. Wenn man am Gang sitzt muss man dauernd aufstehen weil der Nachbar aufs Klo muss oder wenn er Raucher ist, weil er alle 5 Minuten rauchen geht. Wenn man Fenster sitzt, dann pennt der Typ oder die Frau neben einem ein und man muss die immer wieder wecken wenn man raus muss. Am glücklichsten ist man dran, wenn der Platz neben einem garnicht reserviert ist.
Ich schmeiss meine Taschen auf den Sitz und zück nochmal die Fahrscheine. Ich schau nochmal drauf um zu schauen ob ich mich auch wirklich auf dem richtigen Platz niederlasse. Hinter mir nuschelt jemand etwas mit "...Problem?!". Ich zuck zusammen und sag ganz perplex auf schweizerdeutsch, dass ich kein Problem habe und das ja mein Platz sei. "Was?!" labert mich der komische Kauz den ich nun auch sehe an, da ich mich zu ihm umgedreht hab. "Das ist mein Plahaatz!" antworte ich ihm, diesmal natürlich in perfektem - naja, fast perfekten, verwirrten, nuschelndem - Hochdeutsch. Ich mach ihm den Weg frei, dass er sich ans Fenster setzen kann. Er hat schwarze Haare, einen kleinen Kopf und ist so gegen 45 Jahre alt. Ich schmeiss meine Reisetasche in das Regal inner Mitte vom Wagon und pflanz mich auch hin. Der Typ neben mir riecht irgendwie nach Bier. Und kaum hab ich das erkannt, zieht er auch schon eine Flasche aus dem Rücksack. Na toll. Hab ich nen Alki neben mir?! Ich sehe, dass auf der linken Seite noch beide Sitze frei sind und entscheide mich, mich dahin zu setzen wenn der Zug losfährt. Der Zug fährt los. Ich setz mich rüber, ans Fenster. Keine 5 Minuten später kommt noch ein Kasten von nem Kerl an und setzt sich neben mich hin. Zwei Köpfe grösser als ich. Mit seinen Knien berührt er im Sitzen fast die Wand, während meine Knie noch mindestens nen halben Meter Abstand dazu haben. Rauskommen ohne dass er aufsteht - keine Chance. Ich denk mir dass, der Platzwechsel wohl ein Griff ins Klo war. Allerdings war das immernoch besser als neben diesem Biertrinkenden Kerl zu sitzen, welcher in mir ein seltsames Bauchgefühl auslöste. Ich beginne zu hoffen, dass nicht irgendwann ein Kerl kommt der seinen Platz beansprucht auf dem ich mich ja unberechtigerweise niedergelassen habe.
Ich schreibe der Jessi (welche ich dieses WE auch in Berlin sehen werde) eine SMS. Der Inhalt: "Oh! ich sitz im falschen Zug. Der fährt ohne halt bis Wien! :-O (dann ein paar leere Zeilen) just joking. Freu mich auf Dich. Bussi". Ich bekomme von ihr ne Antwort dass, das wohl nicht mein ernst sei. Sie hat den letzten Teil nicht gelesen. Scherz gelungen. Ich freu mich und kläre sie auf. Der Kondukteur trudelt an und ich denke mir, dass er mir wohl gleich sagen wird, dass ich aufm falschen Sessel geparkt habe. Er tuts nicht. Er hats wohl nichtmal bemerkt und läuft weiter. Weiter hinten fragt ihn wohl ne Frau ob der Platz nebenan auch noch frei ist. Wahrscheinlich hat sie auch so ein komisches Individuum neben sich wie ich es hatte. Wahrscheinlich hat es in dem Zug nur komische Individuuen. Ich hab zwar nicht genau verstanden was sie wirklich gefragt hat, aber die Antwort vom Kondukteur (ein selten dämliches Wort dieses Kondukteur. Wie mir grad mitgeteilt wurden, heissen die in Deutschland Zugbegleiter.) lautet: "Nein, alles reserviert... alles besetzt". Na toll, das heisst, dass früher oder später jemand kommt und mich aus meinem Sessel scheucht. Der Typ der eigentlich neben mir reisen würde (wenn ich nicht geflüchtet wäre), hat mittlerweile schon 4 Liter Bier in sich gekippt. Es ist keineswegs abnormal wenn man mal mit ein paar Kumpels ein paar Bier hinter die Binde schüttet. Aber wenn man sich irgendwo - z.B. Zuhause oder in einem Nachtzug nach Berlin - allein innerhalb einer Stunde oder ein bisschen mehr 4 Liter Bier in den Magen pumpt, dann find ich das doch ziemlich armselig. Zudem ist es rücksichtslos gegenüber den Mitfahrenden. Ich hätte auf jedenfall keine Freude wenn mir ein Typ in nem Zug aufn Schoss kotzt, nur weil er zuviel gesoffen hat.
Der Zug rollt in Basel ein und panisch kralle ich mich an den Armlehnen fest. Ich will hier nicht weg. Ich will nicht wieder auf die andere Seite des Ganges. Ich will nicht zu dem komischen Kerl, dem ich mittlerweile immer wieder prüfende verachtende Blicke zuwerfe. Ich will hier bleiben. Eingesperrt zwischen einem Fenster und einem Riesen.
Ich darf bleiben. Keiner kommt und sagt, dass ich mich vom Acker machen soll. Ich freue mich, doch ich traue der Sache noch nicht so ganz. Irgendwo ist ein Haken und ich mein nicht den an der Wand um die Jacke aufzuhängen.
Ich versuche zu schlafen, doch es gelingt mir nicht wirklich. Irgend etwas hält mich wach. Vielleicht die Nervosität. Die Angst vor dem Moment wo ich meine Festung verlassen muss. Vielleicht die Tatsache, dass ich die Nächte zuvor nie wirklich geschlafen habe und immer erst gegen acht Uhr ins Bett bin. Vielleicht auch nur, weil mich die Luft oder sonst etwas in diesem Zug vom Schlafen abhält. Ich nehme mein Buch zur Hand und beginne zu lesen. Eigentlich überfliege ich mehr die Buchstaben als zu lesen. Entweder ist das Buch stinklangweilig oder ich bin einfach zu doof wirklich aufzunehmen was da drin steht. Normalerweise schlafe ich immer ein wenn ich etwas lese, aber dieses mal scheint es nicht zu klappen. Der Typ neben mir hat sich auch ein Buch gekrallt und bei ihm hats geklappt. Er schläft seelenruhig mit dem Buch inner Hand.
Der Zug hält in Freiburg (im Breisgau), in Offenburg und in Karlsruhe. Niemand steigt ein, der mich verjagen möchte. Stattdessen gesellen sich mal zwei Glatzköpfe neben den Typen mit dem Bierverschleiss. Sie scheinen ihn zu kennen. Er sie auch. Die zwei sehen aus wie die Sorte von Hooligans, denen man nicht alleine begegnen möchte. Irgendwelche Radikale die mit einer stumpfsinnigen Parole wie "Alle Macht dem Bierdeckel" durch das Leben wandeln und Rauchverbot in einem Restaurant als Freiheitsberaubung ansehen, obschon sie sich sowieso bloss in Bars setzen und nie in ein Restaurant. Tolle Kontakte hat der komische Kerl. Bin ich froh hab ich den Platz gewechselt. Doch mir scheint das ganze nicht so geheuer. Irgendjeamand muss ja noch kommen. Der Zugbegleiter hat doch gesagt, dass alles besetzt ist. Allerdings ist der eh doof. Ich glaub das ist so ein französischsprachiger Schweizer. Also im Grunde genommen ein Franzose. Franzosen mag ich nicht. Ich hab ihn, als er nochmals vorbeilaufen wollte gefragt, ob es etwas ausmache wenn ich hier sitze statt zwei Sitze weiter rechts. Er nuschelte bloss was von "frei geben" und zottelte weiter. Ich denke nicht im Traum daran meinen Ruhesessel freizugeben und bleibe sitzen. Apropo Traum. Es ist schon beinahe Mitternacht und ich habe es noch immer nicht geschafft einzuschlafen. Das Buch ist Kacke. Es beschreibt einen Typen, der von seiner Freundin in den Wind geschickt wurde und der nun sowas wie eine Midlife-Crise durchmacht. Aber es soll ja nicht mal spannend sein. Es soll mir einfach dabei helfen einzuschlafen. Tuts aber nicht. Böses Buch!
Wir passieren Mannheim und etwa 50 Minuten später auch Frankfurt. Mittlerweile pennen wahrscheinlich schon alle. Nur ich nicht. Der komische Kerl schnarcht und von weiter hinten machen ihm ein paar Leute Konkurrenz. Eventuell wollen sie ihn auch bloss unterstützen. Der Riese schläft in einer Stellung in der ich niemals sitzen könnte - und schon garnicht schlafen. Ich habs sogar ausprobiert. Die Beine mit den Fersen weit oben an die Wand gelehnt. Er hat seine Beine durchgestreckt. Ich schaffs nicht. Tut weh. So wie früher bei den Dehnübungen im Fussballverein. Ich könnte also sagen, der Riese hat im Schlaf gedehnt. Krasse Sache. Ich sitze aber immernoch unbestritten an meinem eigens eroberten Fensterplatz.
Wieder ein Bahnhof. Diesmal ist es Hannover. Ich tu so, als würde ich schlafen. Denn ich rechne ganz fest damit, dass nun der schicksalshafte moment kommt wo ich angemeckert werde und mit weisser Flagge von dannen ziehen muss. Wenn ich so tue als würde ich schlafen, macht sich derjenige dem der Platz gehört ja nicht die Mühe mich zu wecken und setzt sich neben den komischen Kerl. Der Zug rollt weiter. Ich musste nicht wechseln. Ich denke an zwei Chatterinnen. An eine die in Hannover wohnt und an eine andere die bald hier wohnen wird. Der ersten von beiden schreib ich ne SMS.
Immer wieder wacht einer der beiden auf. Entweder der komische Kerl oder der Riese. Aber sie pennen immer wieder ein. Ich habs schon langsam aufgegeben mit dem Schlafen und bin schon bald in der Mitte des Buches angekommen. Mittlerweile nehm ich sogar ein paar Textstellen auf und weiss nun sogar was denn da alles so passiert in der Geschichte. Aber das komische Gefühl, dass da noch etwas kommen muss wird immer stärker. Ich hab nicht so viel Glück, dass ich die ganze Fahrt nun hier sitzen bleiben kann. Da stimmt etwas nicht. Wahrscheinlich entgleist der Zug noch. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir "City-Night-Line entgleist. Lokführer und sämtliche Passagiere (bis auf ein Schweizer) sind eingeschlafen. Unzählige fuhren schlafend in den Tod." Ich komme wahrscheinlich mit brutalsten Verletzungen davon, aber im Brief der Versicherung wird stehen, dass sie keine Kosten übernehmen, weil ich am falschen Platz gesessen bin.
Ich zähle die Stunden bis zur Ankunft. Bald ist es geschafft. Irgendwann blicke ich nochmal zu dem komischen Kerl rüber und sehe erstaunt, dass neben ihm einer liegt und schläft. Wann hat sich denn der dahin geschlichen? Seltsam. Doch ich kümmere mich da nicht gross darum und lese weiter. Ein paar Minuten später schaue ich nochmals hin, da ist der schlafende Kerl wieder weg und der komische Kerl holt eine neue Bierflasche aus seinem Rucksack (vorhin hat er lange keins mehr getrunken. Er hat ja geschlafen). Armseliger Mensch.
Das mit dem Schlafen gebe ich endgültig auf. Lese nochmals die SMSen die ich während der Fahrt von Jessi und Viv bekommen habe und hoffe, dass die restliche Zeit schnell vergeht.
Ich muss mal aufs Klo. Der Riese ist zum Glück wach und steht auf damit ich raus kann. Hätte ich raus müssen während er gepennt hat, hätte ich echt ein Problem gehabt. Wahrscheinlich hätte er mich zwischen seine Hände genommen, zerknüllt und angenervt weggeworfen.
So langsam wirds hell draussen und es kommt wieder ein bisschen Leben in den Wagon. Die Raucher gehen rauchen, die Verkrampften vertreten sich die Beine und ich lese immernoch. Es ist tatsächlich niemand mehr dazugestiegen, der sich an meinen Platz hätte setzen wollen. Oder vielleicht hat er sich einfach nicht getraut mich zu vergraulen. Vielleicht sah der Riese zu angsteinflössend aus und hat mir somit meine Zugfahrt gerettet. Vielleicht war aber auch bloss der Zugbegleiter ein doofer Franzose und hat der Dame einen Stuss erzählt. Oder er hat mit "alles besetzt" auch nur die Toiletten gemeint und ich hab mir umsonst Sorgen gemacht.
Der Zug kommt in Berlin Zoologischer Garten an. Bescheuerter Namen für einen Bahnhof, aber was solls. Hauptsache ich kann aussteigen und die zwölf-stündige Fahrt hat ein Ende. Obschon Viv mir schreibt, dass mein Zug garnicht existiert, findet sie ihn dann doch noch und begrüsst mich auf dem Bahnsteig. Doch das was danach kommt, ist dann eine andere Geschichte. Und nun soll nochmals jemand behaupten über eine Zugfahrt könne man nicht viel schreiben.
Endlich da!
Es ist Donnerstag. 19.30 Uhr. Gleich steig ich in den Nachtzug nach Berlin. Meine Mutter hats vor ca. 15 min per SMS erfahren. Meine Schwester wirds in 40 Minuten erfahren. Ich schlender dem City-Night-Line Zug entlang und such den Wagen 29. Wie das halt so ist mit meinem Glück, muss ich bis nach ganz vorne latschen. Und wer den Zürcher Hauptbahnhof kennt, der weiss wie lange diese blöden Perrons sind. Ich steige ein und finde meinen Platz. Es ist einer am Mittelgang. Es ist aber so ein Sitz wo direkt davor ne Wand (vom Gepäckregal in der Wagonmitte) ist und nicht ein anderer Sitz. Wenn man so ne Trantüte vor sich hat, die schon nach zwei Sekunden den Liegesitz ausprobiert, hat man Glück wenn man den Sessel nicht auf die Nase bekommt. An der Wand vor dem Sitz neben mir hängt schon ein Rucksack. Sitzt wohl jemand neben mir. Mist! Irgendwie ist sowas immer scheisse wenn man neben einem Fremden sitzt. Egal ob man nun nen Sitz am Gang oder einen am Fenster hat, man hat so oder so immer die Arschkarte. Wenn man am Gang sitzt muss man dauernd aufstehen weil der Nachbar aufs Klo muss oder wenn er Raucher ist, weil er alle 5 Minuten rauchen geht. Wenn man Fenster sitzt, dann pennt der Typ oder die Frau neben einem ein und man muss die immer wieder wecken wenn man raus muss. Am glücklichsten ist man dran, wenn der Platz neben einem garnicht reserviert ist.
Ich schmeiss meine Taschen auf den Sitz und zück nochmal die Fahrscheine. Ich schau nochmal drauf um zu schauen ob ich mich auch wirklich auf dem richtigen Platz niederlasse. Hinter mir nuschelt jemand etwas mit "...Problem?!". Ich zuck zusammen und sag ganz perplex auf schweizerdeutsch, dass ich kein Problem habe und das ja mein Platz sei. "Was?!" labert mich der komische Kauz den ich nun auch sehe an, da ich mich zu ihm umgedreht hab. "Das ist mein Plahaatz!" antworte ich ihm, diesmal natürlich in perfektem - naja, fast perfekten, verwirrten, nuschelndem - Hochdeutsch. Ich mach ihm den Weg frei, dass er sich ans Fenster setzen kann. Er hat schwarze Haare, einen kleinen Kopf und ist so gegen 45 Jahre alt. Ich schmeiss meine Reisetasche in das Regal inner Mitte vom Wagon und pflanz mich auch hin. Der Typ neben mir riecht irgendwie nach Bier. Und kaum hab ich das erkannt, zieht er auch schon eine Flasche aus dem Rücksack. Na toll. Hab ich nen Alki neben mir?! Ich sehe, dass auf der linken Seite noch beide Sitze frei sind und entscheide mich, mich dahin zu setzen wenn der Zug losfährt. Der Zug fährt los. Ich setz mich rüber, ans Fenster. Keine 5 Minuten später kommt noch ein Kasten von nem Kerl an und setzt sich neben mich hin. Zwei Köpfe grösser als ich. Mit seinen Knien berührt er im Sitzen fast die Wand, während meine Knie noch mindestens nen halben Meter Abstand dazu haben. Rauskommen ohne dass er aufsteht - keine Chance. Ich denk mir dass, der Platzwechsel wohl ein Griff ins Klo war. Allerdings war das immernoch besser als neben diesem Biertrinkenden Kerl zu sitzen, welcher in mir ein seltsames Bauchgefühl auslöste. Ich beginne zu hoffen, dass nicht irgendwann ein Kerl kommt der seinen Platz beansprucht auf dem ich mich ja unberechtigerweise niedergelassen habe.
Ich schreibe der Jessi (welche ich dieses WE auch in Berlin sehen werde) eine SMS. Der Inhalt: "Oh! ich sitz im falschen Zug. Der fährt ohne halt bis Wien! :-O (dann ein paar leere Zeilen) just joking. Freu mich auf Dich. Bussi". Ich bekomme von ihr ne Antwort dass, das wohl nicht mein ernst sei. Sie hat den letzten Teil nicht gelesen. Scherz gelungen. Ich freu mich und kläre sie auf. Der Kondukteur trudelt an und ich denke mir, dass er mir wohl gleich sagen wird, dass ich aufm falschen Sessel geparkt habe. Er tuts nicht. Er hats wohl nichtmal bemerkt und läuft weiter. Weiter hinten fragt ihn wohl ne Frau ob der Platz nebenan auch noch frei ist. Wahrscheinlich hat sie auch so ein komisches Individuum neben sich wie ich es hatte. Wahrscheinlich hat es in dem Zug nur komische Individuuen. Ich hab zwar nicht genau verstanden was sie wirklich gefragt hat, aber die Antwort vom Kondukteur (ein selten dämliches Wort dieses Kondukteur. Wie mir grad mitgeteilt wurden, heissen die in Deutschland Zugbegleiter.) lautet: "Nein, alles reserviert... alles besetzt". Na toll, das heisst, dass früher oder später jemand kommt und mich aus meinem Sessel scheucht. Der Typ der eigentlich neben mir reisen würde (wenn ich nicht geflüchtet wäre), hat mittlerweile schon 4 Liter Bier in sich gekippt. Es ist keineswegs abnormal wenn man mal mit ein paar Kumpels ein paar Bier hinter die Binde schüttet. Aber wenn man sich irgendwo - z.B. Zuhause oder in einem Nachtzug nach Berlin - allein innerhalb einer Stunde oder ein bisschen mehr 4 Liter Bier in den Magen pumpt, dann find ich das doch ziemlich armselig. Zudem ist es rücksichtslos gegenüber den Mitfahrenden. Ich hätte auf jedenfall keine Freude wenn mir ein Typ in nem Zug aufn Schoss kotzt, nur weil er zuviel gesoffen hat.
Der Zug rollt in Basel ein und panisch kralle ich mich an den Armlehnen fest. Ich will hier nicht weg. Ich will nicht wieder auf die andere Seite des Ganges. Ich will nicht zu dem komischen Kerl, dem ich mittlerweile immer wieder prüfende verachtende Blicke zuwerfe. Ich will hier bleiben. Eingesperrt zwischen einem Fenster und einem Riesen.
Ich darf bleiben. Keiner kommt und sagt, dass ich mich vom Acker machen soll. Ich freue mich, doch ich traue der Sache noch nicht so ganz. Irgendwo ist ein Haken und ich mein nicht den an der Wand um die Jacke aufzuhängen.
Ich versuche zu schlafen, doch es gelingt mir nicht wirklich. Irgend etwas hält mich wach. Vielleicht die Nervosität. Die Angst vor dem Moment wo ich meine Festung verlassen muss. Vielleicht die Tatsache, dass ich die Nächte zuvor nie wirklich geschlafen habe und immer erst gegen acht Uhr ins Bett bin. Vielleicht auch nur, weil mich die Luft oder sonst etwas in diesem Zug vom Schlafen abhält. Ich nehme mein Buch zur Hand und beginne zu lesen. Eigentlich überfliege ich mehr die Buchstaben als zu lesen. Entweder ist das Buch stinklangweilig oder ich bin einfach zu doof wirklich aufzunehmen was da drin steht. Normalerweise schlafe ich immer ein wenn ich etwas lese, aber dieses mal scheint es nicht zu klappen. Der Typ neben mir hat sich auch ein Buch gekrallt und bei ihm hats geklappt. Er schläft seelenruhig mit dem Buch inner Hand.
Der Zug hält in Freiburg (im Breisgau), in Offenburg und in Karlsruhe. Niemand steigt ein, der mich verjagen möchte. Stattdessen gesellen sich mal zwei Glatzköpfe neben den Typen mit dem Bierverschleiss. Sie scheinen ihn zu kennen. Er sie auch. Die zwei sehen aus wie die Sorte von Hooligans, denen man nicht alleine begegnen möchte. Irgendwelche Radikale die mit einer stumpfsinnigen Parole wie "Alle Macht dem Bierdeckel" durch das Leben wandeln und Rauchverbot in einem Restaurant als Freiheitsberaubung ansehen, obschon sie sich sowieso bloss in Bars setzen und nie in ein Restaurant. Tolle Kontakte hat der komische Kerl. Bin ich froh hab ich den Platz gewechselt. Doch mir scheint das ganze nicht so geheuer. Irgendjeamand muss ja noch kommen. Der Zugbegleiter hat doch gesagt, dass alles besetzt ist. Allerdings ist der eh doof. Ich glaub das ist so ein französischsprachiger Schweizer. Also im Grunde genommen ein Franzose. Franzosen mag ich nicht. Ich hab ihn, als er nochmals vorbeilaufen wollte gefragt, ob es etwas ausmache wenn ich hier sitze statt zwei Sitze weiter rechts. Er nuschelte bloss was von "frei geben" und zottelte weiter. Ich denke nicht im Traum daran meinen Ruhesessel freizugeben und bleibe sitzen. Apropo Traum. Es ist schon beinahe Mitternacht und ich habe es noch immer nicht geschafft einzuschlafen. Das Buch ist Kacke. Es beschreibt einen Typen, der von seiner Freundin in den Wind geschickt wurde und der nun sowas wie eine Midlife-Crise durchmacht. Aber es soll ja nicht mal spannend sein. Es soll mir einfach dabei helfen einzuschlafen. Tuts aber nicht. Böses Buch!
Wir passieren Mannheim und etwa 50 Minuten später auch Frankfurt. Mittlerweile pennen wahrscheinlich schon alle. Nur ich nicht. Der komische Kerl schnarcht und von weiter hinten machen ihm ein paar Leute Konkurrenz. Eventuell wollen sie ihn auch bloss unterstützen. Der Riese schläft in einer Stellung in der ich niemals sitzen könnte - und schon garnicht schlafen. Ich habs sogar ausprobiert. Die Beine mit den Fersen weit oben an die Wand gelehnt. Er hat seine Beine durchgestreckt. Ich schaffs nicht. Tut weh. So wie früher bei den Dehnübungen im Fussballverein. Ich könnte also sagen, der Riese hat im Schlaf gedehnt. Krasse Sache. Ich sitze aber immernoch unbestritten an meinem eigens eroberten Fensterplatz.
Wieder ein Bahnhof. Diesmal ist es Hannover. Ich tu so, als würde ich schlafen. Denn ich rechne ganz fest damit, dass nun der schicksalshafte moment kommt wo ich angemeckert werde und mit weisser Flagge von dannen ziehen muss. Wenn ich so tue als würde ich schlafen, macht sich derjenige dem der Platz gehört ja nicht die Mühe mich zu wecken und setzt sich neben den komischen Kerl. Der Zug rollt weiter. Ich musste nicht wechseln. Ich denke an zwei Chatterinnen. An eine die in Hannover wohnt und an eine andere die bald hier wohnen wird. Der ersten von beiden schreib ich ne SMS.
Immer wieder wacht einer der beiden auf. Entweder der komische Kerl oder der Riese. Aber sie pennen immer wieder ein. Ich habs schon langsam aufgegeben mit dem Schlafen und bin schon bald in der Mitte des Buches angekommen. Mittlerweile nehm ich sogar ein paar Textstellen auf und weiss nun sogar was denn da alles so passiert in der Geschichte. Aber das komische Gefühl, dass da noch etwas kommen muss wird immer stärker. Ich hab nicht so viel Glück, dass ich die ganze Fahrt nun hier sitzen bleiben kann. Da stimmt etwas nicht. Wahrscheinlich entgleist der Zug noch. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir "City-Night-Line entgleist. Lokführer und sämtliche Passagiere (bis auf ein Schweizer) sind eingeschlafen. Unzählige fuhren schlafend in den Tod." Ich komme wahrscheinlich mit brutalsten Verletzungen davon, aber im Brief der Versicherung wird stehen, dass sie keine Kosten übernehmen, weil ich am falschen Platz gesessen bin.
Ich zähle die Stunden bis zur Ankunft. Bald ist es geschafft. Irgendwann blicke ich nochmal zu dem komischen Kerl rüber und sehe erstaunt, dass neben ihm einer liegt und schläft. Wann hat sich denn der dahin geschlichen? Seltsam. Doch ich kümmere mich da nicht gross darum und lese weiter. Ein paar Minuten später schaue ich nochmals hin, da ist der schlafende Kerl wieder weg und der komische Kerl holt eine neue Bierflasche aus seinem Rucksack (vorhin hat er lange keins mehr getrunken. Er hat ja geschlafen). Armseliger Mensch.
Das mit dem Schlafen gebe ich endgültig auf. Lese nochmals die SMSen die ich während der Fahrt von Jessi und Viv bekommen habe und hoffe, dass die restliche Zeit schnell vergeht.
Ich muss mal aufs Klo. Der Riese ist zum Glück wach und steht auf damit ich raus kann. Hätte ich raus müssen während er gepennt hat, hätte ich echt ein Problem gehabt. Wahrscheinlich hätte er mich zwischen seine Hände genommen, zerknüllt und angenervt weggeworfen.
So langsam wirds hell draussen und es kommt wieder ein bisschen Leben in den Wagon. Die Raucher gehen rauchen, die Verkrampften vertreten sich die Beine und ich lese immernoch. Es ist tatsächlich niemand mehr dazugestiegen, der sich an meinen Platz hätte setzen wollen. Oder vielleicht hat er sich einfach nicht getraut mich zu vergraulen. Vielleicht sah der Riese zu angsteinflössend aus und hat mir somit meine Zugfahrt gerettet. Vielleicht war aber auch bloss der Zugbegleiter ein doofer Franzose und hat der Dame einen Stuss erzählt. Oder er hat mit "alles besetzt" auch nur die Toiletten gemeint und ich hab mir umsonst Sorgen gemacht.
Der Zug kommt in Berlin Zoologischer Garten an. Bescheuerter Namen für einen Bahnhof, aber was solls. Hauptsache ich kann aussteigen und die zwölf-stündige Fahrt hat ein Ende. Obschon Viv mir schreibt, dass mein Zug garnicht existiert, findet sie ihn dann doch noch und begrüsst mich auf dem Bahnsteig. Doch das was danach kommt, ist dann eine andere Geschichte. Und nun soll nochmals jemand behaupten über eine Zugfahrt könne man nicht viel schreiben.
Endlich da!
3 Comments:
hach tatter.
klasse!!
von wegen du kannst nicht mehr schreiben, man muß dich nur lange genug überreden um wieder in den genuß deiner wunderbaren beschreibungen zu kommen. das war die spannendste zugfahrtsbeschreibung, die ich je gelesen habe (gut, wahrscheinlich auch die einzige, aber trotzdem).
schreib jetzt bloß schnell weiter. ich will ALLES über dein berliner wochenende erfahren. über meins hast du ja schließlich auch schon gelesen. ^^
Und wann gibts nun die Fortsetzung? tztz ;)
Immer noch nicht ... war schon vor Tagen, als du gesagt hast "demnächst"!
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