Donnerstag, Juli 21, 2005

Wettkampf

Alle standen in ihren Startlöchern. Die einen nippten nervös an ihrem Kaffe, kauten an ihren Fingernägeln oder warfen sich Beruhigungspillen in den Rachen. Die anderen - darunter auch ich - überflogen nochmals ein paar Textstellen oder Probeaufgaben in der Hoffnung, dass auch genau so was dann an der Prüfung kommt. Je näher die erste Prüfung rückte desto lauter wurde es. Die Nutzung der Karteikärtchen aus der Kategorie Galgenhumor stieg ins unermessliche bis alle an den Prüfungstischen sassen und wussten: "Scheisse! Jetzt wird's ernst!". Ich konnte es natürlich selbst dann noch nicht lassen einen letzten Witz zu erzählen. "Weckt mich wenn's vorbei ist!" Die erste der beiden Prüfungswochen galt ja als die harmlosere. Auf dem Menüplan standen die Fächer Rechtslehre, Wirtschaftsgeschichte, Kommunikation (Pseudo-Deutsch), Englisch, Französisch. Die ersten drei am Dienstag (dem 05.07.) und die restlichen zwei am Donnerstag. Die Prüfungsdauer betrug je nach Prüfung 60 oder 90 Minuten. Bei Rechtslehre war mir im Vornherein schon klar, dass ich höchstens die Hälfte lösen konnte. Weil ich einfach nicht weiss wie man innerhalb von dieser relativ kurzen Zeit so verdammt viel schreiben soll. Und ausserdem wusste ich beim ersten Rechtsfall nicht einmal welches Gesetz ich hätte anwenden müssen. So war ich dann auch nicht gross enttäuscht als ich wieder aus der Aula kam und begann mich auf Wirtschaftsgeschichte vorzubereiten. Ich dachte das könne nicht allzu schwer sein. Na ja, man kann sich ja auch mal irren. Ein paar Fragen hab ich gar nicht beantwortet und bei den anderen hab ich mehr oder weniger nur Stuss hingeschrieben. Ich fands doof, dass ich diese Prüfung wohl auch in den Sand gesetzt hatte, aber machte mir nichts draus und bereitete mich auf Kommunikation vor. Kommunikation. Ha! Das lächerlichste Fach (neben Religionsunterricht vor mehreren Jahren) das ich je besuchen musste. Was man da lernt? Eigentlich weiss ich das auch nicht so genau. Wie man einen Text interessant gestaltet in Punkto Leseanreiz, Prägnanz, Strukturierung und Einfachheit, wie man eine Rede vorbereitet und hält, verschiedene Berichtsformen, die neue Rechtschreibung etc. pp. Ich sage das Fach sei lächerlich, dann muss die Prüfung wohl mega einfach sein, was?! Ne! Weil man unzählige Fachausdrücke kennen muss (die man danach eh nie wieder braucht). Und das sollte noch nicht alles sein. Eine Aufgabe bestand darin, dass man ein Zeitungsinterview in fünfhundert Worten in Berichtsform zusammenfassen soll. Hallo?!? Fünfhundert Worte?! Wenn man das ganze Interview abgeschrieben hätte, wäre man etwa auf 600 Worte gekommen. Einen Text von 600 Worten auf 500 Worte zusammenfassen. Zusammenfassen?! Mann... was sind das nur für bescheuerte Dozenten die, diese Aufgabe gemacht haben... Ich bin raus, auf den Zug, fuhr nach Haus und wollte erstmal nichts mehr von dem ganzen Müll hören. Ich kann das nicht haben wenn nach der Prüfung immer alle blöd rumgackern "Hey, was hast denn da geschrieben"..."Wäre da nicht..."..."Ich glaub das wäre...gewesen". Seid doch still!!! Ändert eh nix mehr. 3:0 für die Fachhoschule. Drei Prüfungen und dreimal wurde ich fies ausgetrickst. Und der Schiedsrichter ist sowieso parteiisch. Tzzzss!!! Ich machte mir die Hoffnung, dass ich am Donnerstag auf 3:1 Verkürzen kann wenn die Disziplin Englisch ansteht. Allerdings rechnete ich auch mit einem unhaltbaren Tor durch Französisch. Guten Mutes und immer noch nicht sonderlich nervös nahm ich die Französisch-Prüfung in Angriff. Ich kämpfte tapfer gegen eine Niederlage an, doch konnte ich Napoleon nicht im geringsten das Wasser reichen und ertrank darin. Na ja, was soll's. Ich hatte ja damit gerechnet. Und nun sollte ja der Moment kommen wo ich mein erstes Tor erziele. Englisch sei dank! Denkste. Erst kam das ordentliche Prüfungs-Einführ-Ritual indem uns die Dozenten vor jeder Prüfung feierlich erklärten, dass wir die Couverts (in denen die Prüfungen waren) erst auf Kommando öffnen dürften, dass wir zusätzliche Blätter bei ihnen verlangen könnten und diese dann auf dem Deckblatt erwähnen müssten, dass wir auf keinen Fall die Unterschrift vergessen sollen sowie den kompletten Namen auf jeder Seite. Bei der Englischprüfung war aber noch etwas anders als bei den anderen Prüfungen. Es hiess noch: "Nachdem wir Ihnen die Erlaubnis gegeben haben, dass Sie Ihre Couverts öffnen dürfen, werden sie 30 Sekunden Zeit haben um die Fragen zum Listening (Hörverständnis)-Teil der Prüfung zu lesen. Danach läuft das Band einmal durch. Nach einer kurzen Pause von ein paar Sekunden beginnt das Band noch mal von vorne. Danach können Sie die restlichen Übungen der Prüfung zu lösen beginnen." "Klar, kein Problem. Dann mal los!" dachte ich mir. Ging's dann auch. Wir durften die Couverts öffnen. Es waren gerade mal 15 Sekunden vergangen, ich hatte die Scheiss Prüfung mit Müh und Not aus dem Couvert bekommen, hatte die ersten zwei Fragen gelesen und schon erklang Englisches Geschwafel aus den Lautsprechern. Ich war logischerweise so perplex, dass ich den Anfang dadurch voll nicht mitbekam. Irgendwie konnte ich mich dann doch noch bei der sechsten Frage einklinken, konnte aber nur die Hälfte der Antworten hinschreiben, weil der Typ schon wieder zwei Antworten gesagt hat während ich ein Wort geschrieben hatte. Im Unterricht wurden uns dauernd Dinge vorgespielt die entweder von einem Inder gesprochen wurden, oder dann in einem einigermassen anständigen Tempo von irgendeiner Nachrichtensprecherin. Fazit: Ich kam nicht mit und hatte beim Hörverständnis am Ende nur etwa die Hälfte aller antworten. Und ob die richtig sind wage ich mal zu bezweifeln.


Die restlichen Aufgaben waren irgendwie verwirrend. Da ich bisher Englisch nur nach Gefühl gemacht habe und es fast nie falsch war, verliess ich mich auch darauf. Pech gehabt. Es kamen genau solche Fragen, die man mit blossem Gefühl halt nicht mehr beantworten konnte. Ich habe zwar was hingeschrieben aber die Chance, dass es richtig ist, beträgt genau 50 Prozent.
Wenigstens bei einer der Wortschatzübungen hab ich voll gerockt, aber ich bezweifle, dass die alleine bewirkt, dass nicht die ganze Prüfung für'n Aaaa…bfall war.
Ich verliess die Aula (die zum Prüfungsraum umfunktioniert worden war) und betrachtete den Zwischenstand. Ich 0. Fachschule 5. Das soll nix anderes heissen, als dass ich in den ersten fünf Prüfungen wohl ungenügend abgeschnitten habe. Wenn man beachtet, dass dies ja angeblich die einfacheren Prüfungen gewesen sein sollten, kann man erahnen wie die zweite Prüfungswoche wohl verlief.
Doch Unkraut vergeht nicht und ich liess mich nicht unterkriegen. Ich stolzierte am Freitag und am Samstag in die Schule und büffelte was das Zeug hielt. Einmal mehr. Das ist genau das was mich am meisten kratzt. Wenn ich nie etwas für die Schule gemacht hätte, dann wüsste ich wenigstens wieso ich das so überhaupt gar nicht raffe. Aber ich habe ja gelernt. Sogar relativ viel. Am Sonntag jedoch nicht. Da stand ich auf und mein Kopf stellte sich auf stur. Mein Kopf: "Nein Du gehst jetzt heute nicht in die Schule sonst schalt ich auf Kopfschmerzen!"
Ich: "Doch ich geh!" Päng! Aua! Ich gab meinem Kopf nach und legte mich noch mal hin. Den Rest des Tages gestaltete ich mit viel Musik und viel Faulenzen. So war ich für die Prüfungen am Montag bestens ausgeruht. Die erste Hürde des Montages war Buchhaltung. Ich kroch unter der Hürde durch und bekam einen saftigen Punkteabzug. 6:0 für die Fachhochschule. Doch dann kam meine Stunde. Dann kam Informatik. Ich wusste, dass da was ganz schlimmes passieren müsste, damit ich auch diese Prüfung in den Sand setzen würde. Es passierte nix schlimmes. Im Gegenteil. Ich wollte nicht nur meinen ersten Punkt verzeichnen. Ich wollte blutrünstige Rache üben. Nach 30 Minuten der 60 Minuten Prüfungszeit war ich fertig und hatte ein gutes Gefühl. Ich gab ab und spazierte raus. Ha! Der Punkt geht an mich! Hocherfreut wartete ich noch auf die anderen und erfuhr, dass es auch ihnen gut lief. Wäre die Buchhaltung nicht gewesen, wäre das ja ein wunderschöner Tag gewesen. Aber eben. Die Buchhaltung kann man nicht einfach wegdenken. Die schwebt wie das Damokles-Schwert nonstop über meinem Kopf und irgendwann… lassen wir das.

Hätte ich am Montag gewusst wie teuer ich für diesen Erfolg bezahlen sollte, hätte ich die Informatikprüfung leer abgegeben und gehofft die Folgen wären weniger brutal ausgefallen. Denn am Dienstag bekam ich so was von aufs Dach. Statistik war ich froh, dass ich überhaupt etwas hinschreiben konnte und dann geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte. Ich war bisher vor keiner Prüfung nervös und es hat mich bisher kaum gekratzt wenn eine Prüfung in die Hosen ging. Aber dann, vor Volkswirtschaftslehre, würde ich saumässig nervös. Auch irgendwie aggressiv und ein Funke Verzweiflung machte sich breit. Vielleicht hat irgendwas tief in meinem Innern geahnt was kommen würde. Ich wurde vernichtend geschlagen. Nein, vernichtend ist noch nicht das richtige Wort dafür. Ich wurde gedemütigt. Als ich die Prüfung abgab war das etwa so als wäre ich bereits 50 Kilometer durch den Dreck gerobbt und wäre dann noch gezwungen worden den Dozenten die Füsse zu küssen. Ich hatte praktisch nix ausgefüllt. Fest entschlossen einen atomaren Weltkrieg anzuzetteln ging ich nach Hause und… und verkroch mich laut Musik hörend in meinem Zimmer.

Es stand also 8:1 für die Fachhochschule und die restlichen beiden Prüfungen am Donnerstag (Steuern und Mathe) liefen nicht besser als all die anderen. 10:1 für die Fachhochschule. Dieses Resultat erinnert mich irgendwie an das Endergebnis unseres FC-Fussballspiels an meinem elften Geburtstag. Damals verloren wir 11:1 und danach hab ich nie mehr irgendwo so hoch verloren. Bis zu den grauenhaften dunklen Prüfungswochen.

Wies nach den Prüfungen weiterging werde ich im nächsten Blogeintrag erzählen.